Herzberg – Ein Stück gelebte Utopie
Eine andere Welt – für ein paar Tage
Es gibt Orte, an denen die Welt plötzlich so ist, wie sie sein könnte. Orte, an denen man für ein paar Tage eintaucht in eine andere Wirklichkeit – frei, friedlich und voller Menschlichkeit. Das Herzbergfestival ist genau so ein Ort. Das älteste Hippie-Festival Europas, irgendwo zwischen Musik, buntem Treiben und einem stillen, tiefen Vertrauen, das man in jeder Begegnung spüren kann.
100.000 Menschen – eine gemeinsame Sprache
Etwa 100.000 Menschen waren dort – vom Neugeborenen im Tuch bis zum 80-Jährigen mit funkelnden Augen. Keiner zu viel, keiner zu laut, keiner zu fremd. Alles war durchzogen von einer Freundlichkeit, die nicht aufgesetzt wirkte, sondern echt war. Keine Auseinandersetzungen, keine harten Worte. Stattdessen leise Rücksicht, spontane Umarmungen, ehrliche Gespräche – und Musik, die direkt ins Herz ging.
Ein Sofa unter Sternen
Einer dieser Momente hat sich mir eingebrannt. Es war gegen ein Uhr nachts. Wir saßen weit hinten, fernab der großen Bühne, auf einer alten, etwas schiefen Couch, die der Veranstalter einfach mitten auf die Wiese gestellt hatte. Von hier aus hatten wir einen perfekten Blick. Der Sound war klar und warm, als würde er uns umhüllen – und wir ließen uns einfach treiben.
Respekt in jeder Geste
Nicht weit entfernt stand eine Mülltonne, randvoll, schon leicht überquellend. Ich erwartete, dass irgendjemand achtlos etwas daneben werfen würde. Doch das Gegenteil passierte: Die Menschen suchten geduldig nach einem kleinen Spalt, um ihren Müll hineinzulegen. Pfandflaschen wurden sorgfältig neben die Tonne gestellt – für diejenigen, die sie einsammeln wollten, um sich ein paar Euro dazuzuverdienen. Niemand musste hier im Müll wühlen.
Eine Wiese ohne Kippen
Und dann fiel mir etwas auf, das mich noch mehr staunen ließ: Auf der gesamten Fläche lag kein Fitzel Papier, kein Kaugummi, keine einzige Zigarettenkippe. Alles war sauber, als hätten unsichtbare Hände die Wiese beschützt.
Freiheit und Verantwortung
Warum erzähle ich das? Weil diese kunterbunten Hippies – und ja, im Herzen bin ich seit meiner Jugend auch eine von ihnen – etwas vorleben, das wir im Alltag viel zu oft vergessen: Jeder darf so sein, wie er ist. Laut oder leise, bunt oder schlicht, barfuß, im Rock, mit langen Haaren oder ohne. Hautfarbe, Herkunft, Alter – völlig egal. Und trotzdem, oder vielleicht gerade deshalb, übernehmen alle Verantwortung. Für sich. Für andere. Für die Natur.
Lasst uns nicht warten
Ich frage mich: Warum gibt es so etwas so selten in unserer Gesellschaft? Warum braucht es besondere Orte, um dieses Miteinander zu leben?
Vielleicht sollten wir aufhören, auf diese besonderen Orte zu warten. Vielleicht sollten wir selbst einer werden.